Die bundesweit sehr unterschiedliche Ausgestaltung von erzieherischen Hilfen ist seit langem bekannt. Insbesondere der Bereich der Vollzeitpflege ist davon stark betroffen. Das bezieht sich
nicht nur auf die materielle Ausstattung der Hilfen, sondern auch auf die Qualität in der Vorbereitung und Begleitung der Pflegefamilien. Das Dialogforum Pflegekinderhilfe, in dem auch der
Runde Tisch der Adoptiv- und Pflegefamilienverbände vertreten ist, beschäftigte sich intensiv mit vielen Fragestellungen im Kontext von Pflegekindern und ihren Familien.
An das BMFSFJ gibt es aber noch andere Forderungen: „Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe sollen keine Leistungserweiterung und keine damit verbundene
Kostenerhöhung einhergehen.“ Aber Qualitätsentwicklung zum Null-Tarif kann nicht gelingen.
Aktuell gibt es eine Vielzahl von Stellungnahmen zu Reformmöglichkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe. Es zeichnet sich ab, dass die im Spätsommer diskutierten Arbeitsentwürfe eine umfassende Überarbeitung erfahren werden.
Die Verbände der Adoptiv- und Pflegefamilien setzen sich für eine Weiterentwicklung der Qualität in der Pflegekinderhilfe ein. In dieser Legislaturperiode sehen wir durchaus realisierbare Reformen. Folgende Themen gehören u.E. dazu:
In mehreren Bundesländern wurden bereits Ombudsstellen in freier Trägerschaft eingerichtet, die Leistungsempfänger beraten und bei der Realisierung ihres Leistungsanspruches gegenüber der Jugendhilfe unterstützen. Eine Finanzierungsverpflichtung von Ombudsstellen in allen Bundesländern halten wir für erforderlich.
Wir unterstützen die Streichung der Bedingung in § 8 Absatz 3 („wenn die Beratung auf Grund einer Not- und Konfliktlage erforderlich ist“). Es wird für Kinder und Jugendliche somit (auch wenn sie in Pflegefamilien oder Heimeinrichtungen leben) einfacher, Beratung unabhängig vom Sorgeberechtigten zu bekommen.
Die Unterbringung in einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform während der Ausbildungs- oder Schulzeit (nach § 13 Absatz 3 SGB VIII), kann eine erzieherische Hilfe in Vollzeitpflege
nicht ablösen oder ersetzen. Im Rahmen von Hilfeplanung muss die Kombination von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege und Unterbringung nach § 13 Absatz 3 erfolgen.
Nicht selten passiert es, dass Pflegekinder zur vorbereitenden Berufsbildung derartige Angebote als „Verselbstständigungsangebot“ erhalten, ohne umfassend auf die Folgen (z.B. Beendigung der
HzE nach § 33 SGB VIII) hingewiesen zu werden.
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Hilfeplanung, die sie selbst betrifft, halten wir für zwingend erforderlich. Diese hat in einer für das Kind angemessenen und wahrnehmbaren Form zu erfolgen.
Bei Hilfen außerhalb des Elternhauses halten wir es für zwingend erforderlich, dass schon ab dem ersten Hilfeplan eine Festlegung der Zielstellung – befristete Hilfe oder neuer Lebensort – erfolgt und dies auch über die Kinder- und Jugendhilfestatistik erfasst wird. Wir schließen nicht aus, dass es im Verlauf von Hilfen auch Änderungen der Lebensperspektive geben kann. Dokumentarisch nachvollziehbar sind diese Änderungen aber nur, wenn die prognostische Dauer von Beginn an erfasst wird.
Im Rahmen der Hilfeplanung sind interdisziplinäre Expertisen einzubeziehen. Die schriftliche Dokumentation des Hilfeplangespräches und der Hilfeplan als Verwaltungsakt sind den Betroffenen, inklusive des „Leistungserbringers“, nach einer verwaltungsüblichen Zeit (maximal 6 Wochen) zur Verfügung zu stellen. Im Hilfeplan ist der Zusammenhang von Hilfebedarf und Hilfeart erkennbar darzulegen.
Bei Vollzeitpflege sind im Hilfeplan Umfang und Unterstützung der Eltern sowie Umfang der Beratung und Unterstützung der Pflegeeltern aufzunehmen.
Die verbindliche Durchführung eines Übergangsmanagements mit dem 17. Lebensjahr (vgl. § 36f Arbeitsfassung vom 23.08.2016) halten wir für unverzichtbar und weisen darauf hin, dass die Hilfe für junge Volljährige eine Regelleistung ist.
Die im Arbeitsentwurf vom 23.08.2016 enthaltenen Formulierungen zu den §§ 37 und 37a unterstützen wir. Wir begrüßen das Recht auf Beratung für Eltern, deren Kinder in Pflegefamilien leben.
Wenn Pflegeverhältnisse zuständigkeitshalber wechseln besteht regelmäßig die Gefahr, dass der Betrag für die Erziehungsleistung ohne Veränderungen im Bedarf an die niedrigeren Sätze vor Ort angepasst wird. Im bisherigen Arbeitsentwurf ist die Formulierung „…soll sich die Höhe des zu gewährenden Pauschalbetrages nach den Verhältnissen richten, die am Ort der Pflegestelle gelten.“ beibehalten worden. Zahlreiche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten zeigen dieses Problem auf. Hier wünschen wir uns eine deutlichere Formulierung, die der Sicherung der Hilfekontinuität dient.
Junge Volljährige haben einen Anspruch auf Fortsetzung geeigneter und notwendiger Leistungen zur Persönlichkeitsentwicklung. Wir schließen uns diesbezüglich den Stellungnahmen des Care Leaver Netzwerkes sowie der AGJ vom 29.09.2016 an.
Die Ergänzung im § 71 Absatz 5 („…., insbesondere auch von selbstorganisierten Zusammenschlüssen von jungen Menschen und ihren Familien, die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe erhalten, oder von Pflegepersonen.“) begrüßen wir.
Im Paragraf zur Kinder- und Jugendhilfestatistik vermissen wir folgende Erhebungsmerkmale:
Die Absicherung von Schäden, die durch Pflegekinder verursacht werden, ist sehr mangelhaft. Die Haftpflichtversicherung basiert auf den Regelungen zum Schadenersatz sowie zur Haftpflicht (BGB §§ 823, 828 und 832). Das bedeutet, dass entweder die Deliktfähigkeit des Schadenverursachers gegeben sein muss oder eine Verletzung der Aufsichtspflicht vorliegt. In den aktuell angebotenen Haftpflichtversicherungen für Pflegekinder wird jedoch regel-mäßig auf dieses Ausschlusskriterium hingewiesen. So heißt es in den Arbeitspapieren des LVR: „Eine Haftpflichtversicherung wird von vielen Jugendämtern für Schäden, die das Pflegekind Dritten zufügt, in Form so genannter Sammelversicherungen für Pflegekinder abgeschlossen. Diese erfassen … jedoch regelmäßig nur solche Schäden, die durch ein bereits deliktfähiges Kind (Vollendung des siebten Lebensjahres) verursacht werden.“
Eine andere Versicherung schreibt: „…Wir versichern gesetzliche Haftpflichtansprüche nach dem BGB, ….“ Mit der Formulierung „gesetzliche Haftpflichtansprüche“ ist, ohne es zu betonen natürlich ebenfalls der Bezug auf die Deliktfähigkeit hergestellt.
Nach außen, also zu Personen außerhalb der Pflegefamilie, können für deliktfähige Pflegekinder Schäden über die private Haftpflichtversicherung übernommen werden. Sind die Pflegekinder nicht deliktfähig, ist gesetzlich nur über eine Verletzung der Aufsichtspflicht eine Regulierung über die Versicherung möglich. Allerdings muss man bei dieser Konstellation mit bedenken, dass eine Verletzung der Aufsichtspflicht immer auch die Frage aufwirft, ob die Pflegeeltern ihrer Aufgabe gewachsen sind.
Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass jede Versicherungsgesellschaft das Recht hat zu prüfen, ob die Haftpflichtforderung zu Recht besteht. Für Schäden, die aus Vorsatz oder mutwillig
begangen wurden, kann jede Versicherungsgesellschaft die Schadensregulierung ablehnen.
Wenn die Versicherung mitteilt, dass kein Haftpflichtanspruch vorliegt aber der Schaden trotzdem eingetreten ist, sind es meist die Pflegeeltern, die im Sinne des Erhalts guter
nachbarschaftlicher, schulischer, …oder freundschaftlicher Beziehungen den Schaden begleichen. Folgendes Zitat belegt die Situation von Pflegeeltern: „Ich möchte zu bedenken geben, dass
unsere Aufgabe als Pflegeeltern darin besteht, Paul in einer normalen und positiven Umgebung aufwachsen zu lassen. Daher ist es unmöglich, den Nachbarn etwas in der Art zu sagen wie: „Tja,
Pech gehabt, Paul ist leider noch zu klein. Sieh’ zu, wo du dein Geld herbekommst“.
Weiterhin ist es wichtig zu wissen, dass Schäden, die mit motorisierten Fahrzeugen begangen werden, ebenfalls nicht unter die Haftpflicht fallen, da das Fahrzeug selbst haftpflichtversichert ist. Die Autohaftpflichtversicherer haben ebenso die Möglichkeit, die Regulierung von Schäden teilweise oder vollständig abzulehnen – und wenn sie die Schadensregulierung übernehmen, bleibt beim Fahrzeughalter – also meist den Pflegeeltern – die Hochstufung der Versicherung oder eine zivilrechtliche Schadenersatzklage der Auto-Versicherung an das jugendliche Pflegekind. Und diese ist wiederum nicht über die Private Haftpflichtversicherung regulierbar.
Einige Versicherungen bieten Versicherungsschutz im Binnenverhältnis an. Schädigt das Pflegekind Gegenstände der Pflegeeltern, haben diese zunächst einen Anspruch gegen das Pflegekind selbst, der unter bestimmten Bedingungen von der Versicherung übernommen wird, jedoch nicht, wenn es unter 7 Jahren alt ist oder wenn es unter 18 Jahren alt ist und ihm die nötige Einsichtsfähigkeit fehlt. Verneint die Versicherung einen Haftpflichtfall, haben Pflegeeltern die Möglichkeit, die Schäden aus eigener Tasche zu bezahlen oder zivilrechtlich ihr Pflegekind zu verklagen. Schadenersatzansprüche können die Zukunftsperspektiven von Kindern belasten oder sogar konträr zur Hilfezielstellung wirken.
Es gibt Pflegekinder, die beeinträchtigt sind und hochgradig aufgeregt und exzessiv reagieren können. Wenn so ein Kind extrem sauer ist und z.B. im Haus und Hof Feuer macht, dann verlieren die Pflegeeltern viel oder alles. Sie könnten notfalls vor dem Ruin stehen. Nach den Regularien der Versicherungen sind eben genau diese Schadensfälle nicht versicherbar.
Pflegefamilie sein – ein unkalkulierbares Risiko?
Wie kann einer Pflegefamilie geholfen werden, die durch eine Handlung/Tat ihres Pflegekindes einen Schaden an Leib, Leben oder/und Vermögen erleidet? Kann es wirklich damit getan sein
hinzunehmen, dass sie in der Erfüllung einer gesellschaftlichen Aufgabe allein steht und nichts zu erwarten hat?
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Sie finden die Stellungnahme mit dem Briefkopf des Runden Tisches als pdf-Datei hier im Anhang
Anhang | Größe |
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Haftpflicht und Pflegekinder.pdf | 167.41 KB |
Erfordernisse aus der Perspektive der Pflegefamilienverbände
Der Runde Tisch der Adoptiv- und Pflegefamilienverbände begrüßt die Idee, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Familien als Orte zur Sozialisation in eine fremde Kultur und Gesellschaft anzubieten. Wir halten den Begriff Gastfamilie für sehr unbestimmt und fordern ein eindeutiges Bekenntnis, dies als eine Hilfe zur Erziehung nach § 33 zu installieren. Eine unmittelbare Ankoppelung an „ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe“, mit dem damit verbundenen Gedanken der finanziellen Entlastung der Kommunen, halten wir für ein falsches Signal.
Jugendliche und Kinder haben einen Anspruch auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung (vgl. § 1 SGB VIII). Dieses Recht gilt auch für ausländische Kinder und ausländische Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland kommen (vgl. § 42 Absatz 1 Nr. 3). Sie brauchen für ihre rechtliche Vertretung einen Vormund. Dieser ist dafür verantwortlich, dass der Wille des jungen Menschen im Unterbringungsprozess beachtet wird.
Familien, die einem jungen Menschen aus einer anderen Kultur nach der Flucht in ihrer Familie einen neuen Lebensort bieten, brauchen professionelle Vorbereitung, Unterstützung und Begleitung.
Familien, die sich für so eine verantwortungsvolle Aufgabe zur Verfügung stellen, haben das Recht auf eine solide Vorbereitung, wie sie alle Pflegefamilien erhalten. Dabei sehen wir durchaus die zeitliche Problematik und befürworten eine begleitende Qualifizierung.
Flucht und Traumatisierung sollten ein zusätzliches Thema in der Vorbereitung und Qualifizierung von Gastfamilien sein. Weiterhin brauchen diese Familien eine erhöhte Sensibilität für kulturelle Unterschiede und die Fähigkeit sich auf diese einzulassen. Es gibt bedeutsame Unterschiede in den Normen und Werten von „Ich“- und „Wir“ Gesellschaften. Dieses müssen Gastfamilien nicht nur wissen, sondern auch die Kompetenz haben, sich darauf einzulassen.
Asyl- und ausländerrechtliche Regelungen haben nicht nur Auswirkungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, sie können auch ihre Auswirkungen auf die ganze Familie entfalten. Gastfamilien brauchen einen Überblick, was sie besonders beachten müssen.
Die Unterstützung und Begleitung dieser Familien sollte sich quantitativ an den Pflegefamilien für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder orientieren. Zusätzlich zu den Themen, die auch andere Pflegefamilien haben, kommen kulturspezifische Themen, Sprach- und Übersetzungsthemen und nicht zuletzt noch rechtliche Themen dazu. Die Gasteltern brauchen Supervisionsangebote sowie die Möglichkeit, sich in Kleingruppen auszutauschen. Auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge benötigen – zusätzlich zu ihrem Lebensort in einer Familie – Gruppenangebote.
Für alle rechtlichen Fragen muss das Unterstützungsnetzwerk kompetente Ansprechpartner kennen und dahin weiterverweisen können. Auch für Schule, Ausbildung oder Therapie muss es kompetente Ansprechpartner geben.
Auch unbegleitete Minderjährige werden eines Tages volljährig. Da ein sehr großer Teil schon Jugendliche sind, kann dies sehr schnell gehen. Die Übergänge in andere Hilfeformen oder zu anderen Lebensorten müssen vom ersten Tag mitgedacht werden. Familie ist etwas anderes als eine Organisation. Zwingend ist, schon vorab Zeit und Raum für Rituale des Verabschiedens einzuplanen.
Die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sollte dringend wissenschaftlich begleitet werden. Das professionelle Helfersystem, die Pflegekinderhilfe, kann aus diesem Projekt der Unterbringung junger Flüchtlinge in Gastfamilien viel lernen.