FASD – Sind die Mütter der Ursprung aller Probleme?

Von moralischer Überlegenheit und Stigmatisierung!

 

Um es gleich vorwegzunehmen: NEIN, die Mütter sind nicht der Ursprung aller Probleme in Bezug auf FASD! Sie sind aus der natürlichen Begebenheit heraus die Verursacher und diese Last kann ihnen erst einmal niemand nehmen.

 

Erfreulicherweise rückt das Thema FASD immer weiter in den Fokus der Öffentlichkeit. Damit einhergehend bleibt es nicht aus, dass die Entstehung dieser Behinderung ebenfalls detailliert erklärt wird. Nämlich, dass FASD durch den vorgeburtlichen Konsum von Alkohol entsteht und das ungeborene Kind schwer schädigen kann.

 

Alkohol ist die Volksdroge Nummer 1. Zu allen Gelegenheiten präsent und immer zu haben. In unserer Kultur stößt es eher auf Verwunderung nicht zu trinken, als das bereits zum Frühstück mit Sekt angestoßen wird. In der Werbung vermittelt Alkohol Geselligkeit, Freiheit, Entspannung und Genuss. Wer kennt sie nicht, die Empfehlung von Ärzt*innen, dass ein Sekt den Kreislauf ankurbelt und Rotwein so gesund ist, ja sogar beim Abnehmen helfen soll.

 

In Deutschland geben 26 von 100 Frauen an, gelegentlich Alkohol in der Schwangerschaft zu trinken (The Lancet Global Health). Während der ersten 14 Tage der Schwangerschaft soll das Alles-oder-Nichts-Prinzip gelten, sprich wird eine Eizelle in der Frühschwangerschaft geschädigt, teilt sie sich nicht weiter und nistet sich auch nicht ein. In den meisten Fällen wird eine Schwangerschaft jedoch erst später festgestellt und wenn dann Alkohol konsumiert wird, kann er eben das entstehende Kind bereits schädigen; je nach Menge, Veranlagung und allgemeiner Verfassung der Mutter. Es kann also jede Frau treffen, die nicht kategorisch auf Alkohol verzichtet im gebärfähigen Alter. Dann gibt es Frauen, die sind tatsächlich alkoholabhängig und können gar nicht ohne Hilfe frei entscheiden, ob sie aufhören zu trinken oder nicht. Für den Konsum von Alkohol in der Schwangerschaft gibt es viele Gründe und wenn es richtig ungünstig läuft, reicht ein Glas zur falschen Zeit. Sicher ist, dass Alkohol trinkende Schwangere keineswegs ein Unterschichtenphänomen darstellen.

 

Nun kommen einige Kinder mit vorgeburtlichen Schäden auf die Welt und die allermeisten Familien bringen die Entwicklungsverzögerungen, Impuls- und Regulationsstörungen, vielleicht sogar die fazialen Auffälligkeiten, Distanzlosigkeit, die geringe Gefahreneinschätzung und Frustrationstoleranz, die Gedeih- und Essstörungen uvm. überhaupt nicht mit dem Alkohol während der Schwangerschaft in den Zusammenhang.  Ein großer Teil der Frauen geht davon aus, dass es ausreichend war, nach Kenntnis über die Schwangerschaft, auf Alkohol verzichtet zu haben. Gott sei Dank ist das in vielen Fällen auch so; leider nicht immer.

 

Die FASD ist mittlerweile mit ihren vielen Facetten bei immer mehr Pädiatoren*innen, Kinderpsycholog*innen und Ärzt*innen angekommen und die Frage: „Haben Sie während der Schwangerschaft getrunken?“ wird immer öfter gestellt. Wie muss sich eine Mutter fühlen? Schuldig, hilflos, ausgeliefert, beschämt? Es erfordert schon eine gewisse Stärke, Mut und natürlich Liebe, hier wahrheitsgemäß zu antworten. Die Wahrheit ist ein großer Baustein für eine fundierte Diagnose. Und eine Diagnose ist die größte Chance, die ein Kind mit FASD erhalten kann. Nur die korrekte Diagnose öffnet das Tor für die richtigen Therapien (oder eben auch nicht!) sowie den schützenden, fördernden Umgang mit der Behinderung. Ein großer Teil der Kinder mit FASD lebt in Pflege- oder Adoptivfamilien. Diesen Familien fällt der Schritt zur Diagnose deutlich leichter. Sie müssen nichts eingestehen und haben somit auch keine „Schuld“ auf sich geladen. Des Weiteren erhalten Pflegefamilien grundsätzlich bereits Hilfe durch Jugendämter bzw. Eingliederungshilfe.

 

Dieser Beitrag soll niemanden glorifizieren oder abwerten. Er soll dazu beitragen, die leiblichen Mütter aus der Schuld-und Scham-Schublade hin in die gemeinsame Verantwortung zu begleiten. Sie brauchen kein Getuschel hinterm Rücken, sie brauchen kein Mitleid, sie brauchen keine gerümpfte Nase und sie brauchen auch keine Lobdudelei. Sie brauchen vor allem Akzeptanz, Hilfen für ihre Kinder, Wertschätzung und die Unterstützung im Alltag, die den Kindern und ihnen ein gutes Leben ermöglicht. Sie brauchen die Chance auf Vernetzung, Gehör und eine Öffentlichkeit, die ermutigt. Den Kindern sollte schon früh Raum für ihre Verarbeitung von Wut und Verzweiflung über ihre Behinderung und die damit verbundenen Schwierigkeiten und Hürden im Leben gewährt werden. Auch hier sollten die Mütter jederzeit Unterstützung und Beistand erhalten.

 

Letztlich brauchen wir alle einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol in Bezug auf die ungeborenen und ungeschützten Kinder sowie die Akzeptanz, Teilhabe und bedingungslose Unterstützung von Menschen mit FASD!

 

 

 

Nevim Krüger

 

April 2022

Fachartikel von Nevim Krüger ( 1. Vorsitzende) :

 

Von Missverständnissen, Schuldzuweisungen und Kränkungen

 

Wie kann gute Kommunikation in Bezug auf FASD gelingen und was kann sie schlimmstenfalls vermeiden?

 

Pflegeeltern machen die Erfahrung, dass ihre Kommunikation mit den anderen Beteiligten der Pflegekinderhilfe gerade in Bezug auf FASD als schwierig empfunden wird. Sie kennen es gar nicht anders, als dass sie Verhaltensweisen, Benehmen und Emotionen ihrer Kinder/Jugendliche immer und immer wieder erklären und darlegen müssen, damit die Gesprächspartner das Kind verstehen, die Situation der Pflegefamilie erkennen und die Handlungen der Pflegeeltern akzeptieren können.

Wir, die wir mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen mit einer FASD leben, wissen, wie wichtig die richtige Kommunikation ist. Ein falsches Wort zur falschen Zeit kann einen wunderschönen Tag in einem Fiasko enden lassen. Menschen mit FASD sind darauf angewiesen, klare und gut verständliche Botschaften zu erhalten. Viele von ihnen können Ironie oder Sarkasmus schwer einschätzen und eine flapsige Bemerkung, die eigentlich lustig und herzlich gemeint war, trifft das Gegenüber ins Mark. Wir wachsen stetig im Umgang mit dieser Behinderung und unsere Sprache tut es auch. Mit jeder missglückten Situation lernen wir und wissen es beim nächsten Mal besser; meistens jedenfalls. Wir gewöhnen uns an den teilweise derben Ton, der uns seitens unserer Kinder und Jugendlichen entgegenweht und auch Beschimpfungen versuchen wir so gut es geht nicht sonderlich persönlich zu nehmen. Das ist schon eine harte Sprachschule, durch die Familien mit von FASD betroffenen Kindern gehen. Wie färbt das auf uns ab? Wie switchen wir im Umgang mit anderen Menschen um? Tun wir es überhaupt immer?

 

Wie kommunizieren wir mit der Lehrer*in, mit den Ärzt*innen, mit den Sachbearbeiter*innen, Vormünder*innen und vielen mehr? Klar ist, wir alle kommunizieren stets und ständig. Mit und ohne Worten. Jeder Mensch bringt seine Erfahrungen, Wahrnehmungen und Bedürfnisse ein in seine Kommunikation und sein Gegenüber tut es ebenso.

 

Immer wieder erleben wir gerade in Bezug auf FASD, dass die Kommunikation als schwierig empfunden wird. Da gibt es Familien, die Kinder mit FASD betreuen und es eigentlich gar nicht anders kennen, als dass sie Verhaltensweisen, Benehmen und Emotionen ihrer Kinder/Jugendliche erklären und darlegen; in vielen verschiedenen Kontexten.

 

Da gibt es z. B. Sozialarbeiter*innen, die über langjährige Erfahrung verfügen, viel erreicht haben mit vielen Familien vor eben dieser jetzt vor ihr sitzenden Familie. Die Lage ist vielleicht gerade angespannt innerhalb der Familie. In der Schule klappt momentan nichts wirklich gut, Hobbies und Unternehmungen werden aktuell permanent von dem Kind verweigert und die Nahrungsaufnahme ist auch gerade katastrophal. Da sitzt dann die verzweifelte Familie auf der einen Seite mit der Erwartung an die Sozialarbeiter*in, dass diese nun eine zündende Idee oder gar eine aktive Hilfe anbietet und auf der anderen Seite die erfahrene Sozialarbeiterin, die aus ihrem Erfahrungsschatz heraus zielführende Vorschläge unterbreitet. Nun sind das vielleicht Vorschläge, die der Familie so gar nicht passen bzw. diese wiederum aus ihrer Erfahrung mit dem Kind heraus weiß, dass das mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht klappen wird, da es häufig schon ausprobiert wurde. Schnell wird ein Tipp als Angriff gewertet und eine Gegenargumentation als Abwertung der Erfahrung wahrgenommen. Und schon ist das Gespräch in eine Schieflage geraten. Da kann ein gut gemeinter Satz wie: „vielleicht kochen sie ja mal zusammen mit Ihrem Kind eine tolle Gemüsesuppe?“ schon mal schnell die Zornesröte ins Gesicht der Mutter zaubern, die bisher nicht nur zig Suppen, sondern Pastasaucen sämtlicher Art, Aufläufe quer durch die Kochbücher der Nationen und Kartoffelgerichte sämtlicher Variationen für und mit ihrem Kind gekocht hat. Sie fühlt sich in ihrer Sorge um die einseitige Ernährung ihres Kindes nicht ernst genommen und macht innerlich dicht. Wie solche Gespräche enden, können wir uns alle vorstellen. Aber was ziehen sie nach sich in Bezug auf FASD und Pflegefamilien?

 

Oder wie oft erleben wir festgefahrene Kommunikation im Bereich Schule.

 

„Ja, das Kind müsste das jetzt langsam wissen, aber es weiß es trotzdem nicht, da es immer wieder auf Grund seiner geschädigten Hirnstrukturen vergisst.“ Diese Aussage impliziert für die Eltern, dass im Vorfeld eine Anschuldigung an das Kind (und vielleicht sogar auch an sie) gerichtet wurde. Vielleicht war es aber gar keine Anschuldigung, sondern einfach nur ein wenig Verzweiflung darüber, dass das Kind trotz intensivsten Einsatzes der Lehrkraft nicht verstanden hat, dass die Punktrechnung vor der Strichrechnung erfolgen muss.

 

Oder der Fall, dass verzweifelte Eltern in der Schule anbringen, dass der Druck zu groß sei und die Kinder zuhause zusammenbrechen und ihnen seitens der Schule entgegnet wird, dass es im Unterricht ganz wunderbar klappt mit den Aufgaben. Auch hier fühlen sich Eltern nicht verstanden und ernst genommen und die Lehrkraft erklärt lediglich, was sie wahrgenommen und erlebt hat. Ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass „Schule“ weiß, was es den Kindern abverlangt, mitzuhalten und zu funktionieren.

 

Hier könnte es hilfreich sein, Infomaterial speziell für Schule mitzubringen und freundlich um Kenntnisnahme zu bitten. Ebenso kann es hilfreich sein, einen Gesprächstermin zu vereinbaren und ganz in Ruhe gemeinsam einen Schulfahrplan zu erarbeiten, der für alle gut funktionieren kann, besonders für das Kind. So könnte auch für Kinder mit FASD Inklusion langsam besser gelingen.

Besonderheiten zeigen sich auch in der Kommunikation von den Menschen mit FASD. Sie verfügen meistens über gute sprachliche Kompetenzen. Leicht täuscht dieser Umstand über die Schwierigkeiten hinweg, die FASD mit sich bringt. Gedächtnislücken werden mit Phantasiegeschichten gefüllt oder Erlebnisse aus der Vergangenheit können ins Jetzt versetzt werden. Häufig wird von Kindern mit FASD (Bindungsstörung, Trauma etc.) berichtet, dass sie nichts zu essen bekämen, nie etwas zum Geburtstag bekommen oder immer in alten Sachen herumlaufen müssen. Teilweise werden Inhalte aus Gesprächen mit anderen Kindern oder Jugendlichen oder aus Filmen in die eigenen Geschichten verwoben und können zu dramatischen Schlussfolgerungen führen. Bei augenscheinlichen Gefährdungen durch die (Pflege-)Eltern ist unbedingt besondere Sorgfalt (sowieso) und das Hintergrundwissen zu FASD von Nöten um am Ende unabänderliche negative Konsequenzen für die Kinder/Jugendlichen und auch Familien zu vermeiden und stattdessen die Situation bedarfsgerecht aufzulösen.

 

Tatsächlich ist es von existenzieller Bedeutung, dass das Umfeld und alle für das Kind Verantwortlichen die Besonderheiten dieser Behinderung kennen. Insbesondere in den Bereichen, in denen schnell Vorfälle fehlinterpretiert werden könnten und am Ende augenscheinlich eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Hier gilt es genau zu zuhören und gemeinsam zu erarbeiten, was helfen könnte. Manchmal ist es schon hilfreich, wenn das Gegenüber einfach nur zuhört und sogar einräumt, auch keine wirklich rettende Idee zu haben, aber vielleicht für ein wenig mehr Entlastung sorgen könnte. Ebenso wichtig ist, dass der Respekt und die Achtung vor dem Schutzauftrag der Sachbearbeiterin in diesem Falle von der Familie entgegengebracht werden muss. Die Akzeptanz dessen, dass auch anderen Menschen am Wohl des Kindes liegt und auch diese das Beste für das Kind wollen, ist Grundvoraussetzung für ein zielführendes Gespräch und entsprechenden Hilfen. Ebenso wichtig ist das Wissen und Verständnis für die besondere Lebenssituation von Familien, die ein Kind bzw. Kinder mit FASD aufgenommen haben. Hier darf es nicht auf Grund von festgefahrenen Kommunikationen zu Entscheidungen kommen, die dem Wohl des Kindes nicht entsprechen bzw. diesem sogar abträglich sind. Von beiden Gesprächsparteien ist zu erwarten, sich aktiv um Hilfestellung hinsichtlich der Kommunikation zu bemühen und diese zu installieren.

 

Erfreulicherweise stelle ich fest, dass immer häufiger Informationen über FASD angefragt werden und das Thema dank zahlreicher engagierter Multiplikatoren Einzug in die entscheidenden Systeme erhält.

 

Erschienen auf moses-online